Der verschwundene Klang

Teddy Reporter Brösel

Der verschwundene Klang

Eine Geschichte aus Brösels Welt

Es war ein Abend, wie ihn nur der Herbst im Weinviertel hervorbringen kann. Der Nebel hatte die Felder in seidige Schleier gehüllt, und zwischen den Reben hing der Duft von feuchtem Gras, Erde und einer Prise Abendbrot. Hauskirchen lag still, so still, dass man hätte glauben können, das ganze Dorf hielte den Atem an.

Brösel stand auf Zehenspitzen auf der Fensterbank seines kleinen Unterschlupfs im Geschichtenarchiv. Der Wind tanzte mit den Vorhängen, und irgendwo klapperte eine lose Dachrinne ihr nächtliches Lied. „Seltsam“, murmelte er. „Die Glocke hat noch nicht geschlagen.“

„Vielleicht schläft sie noch“, kam es von unten aus einem Bücherstapel, der sich verdächtig bewegte. Es war Benno, der hellblonde Archivar unter den Teddybären, kleiner, rundlicher, aber mit einem Blick, der Geschichten wog, als wären sie Goldstücke.

„Benno! Wir müssen nachsehen!“, rief Brösel begeistert, schon halb auf dem Fenstersims.
„Ich dachte, du wolltest dich heute endlich einmal ausruhen“, seufzte Benno, während er seine Lesebrille zurechtrückte.
„Das kann ich ja morgen machen!“ grinste Brösel und sprang hinaus in die Nacht.

Teddy Reporter Hauskirchen

Also stapften sie los, zwei Plüschbären im Mondlicht – einer voran, einer hinterher, begleitet vom Rascheln der herbstlichen Welt.

Die Straßenlaternen warfen runde Inseln aus Licht auf das Pflaster. In den Fenstern schliefen die Gardinen, nur hin und wieder glühte eine Kerze – vielleicht jemand, der noch las, vielleicht jemand, der nachdachte.

Vor der alten Telefonzelle blieben sie stehen. Sie leuchtete schwach, als hielte sie die Erinnerungen des Dorfes in sich fest. Ein Windstoß öffnete die Tür, und ein paar lose Buchseiten flatterten hinaus. Eine landete direkt vor Brösels Pfote.
„‚Vom Klang der Dinge‘“, las Benno laut. „Ein Gedichtband.“
„Ha! Vielleicht ist das ein Zeichen“, meinte Brösel, und die Schwefelquelle irgendwo in der Ferne gluckerte zustimmend.

Sie zogen weiter, vorbei am Teich, der unter dem Nebel wie ein Atem lag, und am alten Pfarrhaus, wo das Efeu sich in den Schornstein verliebt hatte.

Als sie den Kirchplatz erreichten, war die Luft erfüllt von diesem eigenartigen Schweigen, das man nur in Dörfern kennt, die zuhören können.
„Ich glaube, die Stille ist gar nicht leer“, flüsterte Brösel. „Sie ist einfach voll von Geschichten, die sich ausruhen.“
Benno nickte langsam. „Und von Glocken, die vergessen haben, wie man träumt.“

Die schwere Holztür der Kirche stand einen Spalt offen. Sie knarrte, als wollte sie etwas sagen, und der Wind nahm es ihr wieder weg. Drinnen roch es nach Metall, nach Kerzen und nach alten Liedern, die sich in den Mauern eingenistet hatten.

Sie kletterten die Wendeltreppe hinauf, Stufe um Stufe, das Holz ächzte unter ihren Tatzen. Oben angekommen, fanden sie sie – die kleine Eule mit den wachsamen Augen, die auf einem Balken saß und an der Glocke nestelte.
„Entschuldigung“, piepste Brösel höflich, „haben Sie vielleicht die Uhr angehalten?“

Die Eule drehte sich gemächlich um, ihr Gefieder schimmerte im Mondlicht. „Ich habe sie nicht angehalten“, sagte sie ruhig. „Ich habe sie beruhigt. Sie war müde vom vielen Schlagen. Manchmal muss man Herzen eine Pause gönnen.“

Benno legte nachdenklich eine Pfote an sein Kinn. „Das kenne ich. Ich hatte auch einmal ein erschöpftes Uhrwerk. Brösel hat’s mit Honig repariert.“
„Und hat’s funktioniert?“ fragte die Eule.
„Nur bedingt“, antwortete Benno trocken, „aber es hat gut gerochen.“

Da lachten alle drei, leise, damit das Dorf nicht aufwacht.

Als die Turmuhr endlich Mitternacht schlug, schwang ihr Klang weit über die Felder, über Dächer, Weinberge und den schlafenden Fluss. Und wer genau hinhörte, konnte glauben, ein kleines Lachen in den Tönen zu hören.

Unten am Platz blieb Brösel stehen. „Weißt du, Benno,“ sagte er nachdenklich, „vielleicht braucht jedes Dorf seine Eule. Und jeden Menschen ein bisschen Stille, damit er wieder klingen kann.“
Benno nickte, schob seine Brille hoch und murmelte: „Und ein bisschen Honig schadet auch nie.“


Brösels Notiz:

Heute Nacht hat die Glocke wieder gelächelt.
Vielleicht liegt das Geheimnis gar nicht im Lauten, sondern darin, den leisen Dingen Zeit zu lassen, bis sie wieder singen wollen. 🕯️