Wenn man heute durch die Gemüsegänge des Supermarkts schlendert, entdeckt man oft nur das Gewohnte: festkochend, mehlig, vorselektiert. Doch manchmal findet man einen Schatz aus alten Zeiten: Siglinde. Eine alte Kartoffelsorte, die man fast vergessen hatte, und die mich augenblicklich in meine Kindheit zurückversetzt.
Damals, bei meinem Onkel und meiner Ur-Oma, war Siglinde mehr als nur ein Lebensmittel. Sie war Teil des Alltags auf einem Nebenerwerbsbauernhof. Zwischen den Feldern, den Hühnerställen und den Weinreben wuchsen nicht nur die üblichen Sorten, sondern auch diese besonderen Kartoffeln, die man fast nur hier in der Region kannte. Mein Onkel erzählte Geschichten vom Anbau, von der Ernte, von der Sorgfalt, die jede Knolle verdiente. Man kann sagen: Siglinde war eine kleine Heldin im Garten und Feld.
Heute sind solche Sorten selten geworden. Die Landwirtschaft hat sich stark industrialisiert, und alte Züchtungen verschwanden fast gänzlich. Doch glücklicherweise gibt es Bauern, die alte Sorten wieder kultivieren, ihnen eine zweite Chance geben und uns damit ein Stück Geschichte und Geschmack zurückbringen. Siglinde, die ich kürzlich gekauft habe, ist festkochend, aromatisch, mit einem leicht nussigen Duft. Schon beim Schälen und Kochen steigen Erinnerungen auf: Kinderfüße, die über die Erde liefen, das leise Murmeln von Gesprächen zwischen Beeten, das Lachen beim Jausnen nach der Ernte.
Für mich ist es ein Stück Zeitreise: Als Stadtmensch zurück am Land, greife ich nach einer Siglinde und spüre sofort die Verbindung zu meiner Kindheit, zu meiner Familie, zu einem Dorfleben, das eng mit Boden, Jahreszeiten und Händen verbunden war. Die Kartoffel erzählt Geschichten, die man schmecken kann. Eein Erinnerungsstück, das uns lehrt, wie kostbar das Einfache sein kann.

